Mittwoch, 28. Juli 2010

Book-Review | Punktown

 

[Google Translation is available on the original webpage - Click here to visit]

Autor: Jeffrey Thomas

Nun gut, Sie kennen Clive Barker... zumindest vom Hören, und vielleicht etwas genauer von den unheimlich großen Portionen "Leiden" die er in seine seelenlos-guten Horrorkunstwerke verarbeitet. Und Sie bewundern natürlich auch Phillip K. Dick, hier hoffe ich doch vom Lesen und Huldigen seiner tiefgreifenden Eindrücke als Science-Fiction Autor, die er in unserer Welt, nein warscheinlich schon im ganzen Universum hinterlassen hat. Beide sind Autoren, die es schaffen uns nach unseren eignen finsteren Abgründen zu sehnen - oder zumindest unsere dunkle Seite zu entfesseln, aber auch nach erlösender Hoffnung und Wissen zu schmachten. Der reine Unterhaltungswert verblasst hierbei schon, denn diese Inhalte gehen meistens ungehindert in Hirn und Gen des Lesers über = DNA-Pflege. Der eine eben sehr "fleischeslustig" und poetisch, der andere sehr zynisch und unerträglich zukunftsweisend.

Apropos Zukunft...
Was ist mit Jeffrey Thomas, diesem jungen, sehr aktiven Autor der mit seiner fiktiven Stadt "Punktown" schon viel mehr als nur ein bisschen Aufmerksamkeit erregt hat? Seine Palette als fantastischer Schriftsteller reicht weit über das übliche Spektrum von Fantasy, Horror und Science-Fiction hinaus. Aber Obacht, seine Energie lässt sich entweder sanft leuchtend in seinen Zwischenzeilen nieder oder brennt sich gnadenlos ins Gedächtnis ein. Aber er legt nicht einfach nur die Drähte der verschiedenen Genres gekonnt zusammen, sondern formt sich seine eigenen, fantastisch-groteske Zukunftsversion seinem überfüllten, alien- und mutantenvereuchten Hexenkessel "Punktown" auf einem Planeten namens "Oasis" der ursprünglich von der Rasse der Chroom bewohnt wurde.

"Punktown" ist eine geheimnisvolle aber auch sehr verruchte Stadt welche vormals "Paxton" genannt wurde, bevor sich aus dem "Zusammenleben" verschiedener menschlicher und ausserirdischer Rassen nur noch ein "Überleben" herauskristallisiert hatte. Und in so einem Ballungsraum, in dem sich sprichwörtlich Menschen und Auserirdische anziehen, vermischen oder meistens einfach nur an die Gurgel gehen, ist eine Kulturkrise so gut wie vorprogrammiert. Und genau diese zarten bis mittelschweren Details persönlicher Denkweisen, Rituale und Vorurteile seziert Thomas in orginellster Weise - übertragbar auf alle heutigen und zukünftigen Ereignisse. Siehe seine Geschichte "Das Spiegelbild von Geistern"... eine sehr zynischer Angriff auf die Macht von Geld und moralischer Abwesenheit auf die Kunst und das immer größer werdende Thema "Klonen". Oder in dieser, "Die Monster" bei der Grenzen der Familienehre überschritten werden, auf einer sehr bizarre aber nicht weniger reale Weise.

Auch filmisch wertvoll?
Absolut! Es ist keinesfalls abwägig zu behaupten das Thomas mit seinen kleinen Meisterstücken etwas von der Aura von Filmen wie "Blade Runner", "Sin City", "Naked Lunch" und feinen Priese "Alien Nation" in einem großen Filmfreund wie mir neu erstrahlen lässt. Dies nur als waage, mir bekannte Vergleichswerke im Bereich Zelluloid. Natürlich vergreift sich seine Fantasie niemals an diesen Originalwerken, sondern gebärt seine eigenen, fantastischen und zugleich wahrlich erschreckenden Inhalte. Der Schreibstil wirkt niemals gekünstelt und aufgesetzt, also das was manch anderer Autor in seinem lethargischen Ruhmgehabe absondert, sondern verliebt sich in makabere Details und Situationen bei denen der Leser selbst sofort Feuer fängt... oder erschaudert - spätestens wenn er bemerkt wie geschickt Thomas mit unseren ureigenen, dunklen Fantasien spielt. Er verbindet nicht nur ungeahnt skurille und schreckliche Wesen, unkonventionelle Situationen und Schauplätze miteinander... nein, seine Fantasie übermittelt jede einzelne seiner Geschichten nicht nur als blasses "Hologramm", das leicht wieder in Vergessenheit gerät, sondern unangenehm detailiert und sehr einprägsam. Wie z.B. in seiner Geschichte "Bibliothek der Leiden". In der ein Ermittler die Bilder (über ein Implantat erhält er eine Art fotografisches Gedächtnis) der Greueltaten mit unzähligen Leichen nicht mehr verkraften kann.

Thomas ist ein Schriftsteller der sich nicht nur passiv mit seinem Beruf befässt, das spürt man schon in den ersten Zeilen seiner Geschichten. Und das ohne seine aktive Ader selbst in exzentrische Höhen oder gar epischen Ausmaßen hochzuhieven. Es sind einfach diese kleinen, dreckigen und unwiederstehlichen Geschichten die einen faszinieren und einen Klassiker ausmachen. "Punktown" ist die originellste und schauerlichste Safari die ich bisher in einem einzelnen Büchlein durchstreifen durfte. Und es bleibt nicht nur bei einem kurzen Aufenthalt, denn diese Stadt zieht einen nicht nur gnadenlos in seinen Bann - nein sie ekelt, überrascht und kritisiert den fehlgeleiteten, menschlichen "Fleischklops" in uns (aber auch und gerade das exotische, ausserirdische Pendant) auf eine Art und Weise die jedem Leser die Haare zu Berge stehen lässt. Thomas schafft es seine poetisch wertvollen, tiefgreifend düsteren und nachdenklichen Geschichten einen solchen Enthusiasmus zu untermischen das sein Gesamtwerk als extrem vielschichtige, ätherische Erscheinung durch unser Universum schwebt... sozusagen. Kommt man ihr allerdings zu nah, und das passiert auf jeden Fall (weil er unsere Neugierde wie schwarzes Loch anzieht) folgen sehr, sehr unangenehme Albträume. Hier schreibt ein Opfer. ;)

Egal welchen Weg Thomas in Zukunft beschreitet, es bleibt immer ein einzigartiges Erlebnis mit "ungeklonter" Abwechslung, mit mehr als nur filmreifen Figuren und Inhalten. Einige Segmente, so finde ich, hätten allerdings schon längst verfilmt werden sollen (so etwas wie ein Cronenberg muss her) und bei anderen ist eine Verfilmung schier unmöglich. Kompliment. Die größte Errungenschaft von Thomas ist, das er sich als Schriftsteller nicht auf eine chirurgische Weise seiner Materie annimmt, sonst würde diese bestimmte Leidenschaft fehlen, sondern er bearbeitet seine "federführende Saat" als ein Künstler, mit tiefgreifender Poesie und orginellen, schaurig-guten Ideen.

Thomas bietet ein wundersames Potpourri über das Leiden, Leben und Lieben von Menschen, Aliens, Robotern und Mutanten. Und nein es handelt sich um keine dieser festgefahrenen, oberflächlichen, klischee-bezuckerten Einblicke in wachsweiche Horrormärchen oder Science-Fiction-Schundromanen, sondern eines fiktiven Ortes voller einzigartiger, kranker, wahnsinniger, religiöser, irrgeleiteter, verruchter und vorallem sehr leidenschaftlicher Individuen (oder eben einzigartiger Klone). Welche Leidenschaft einem da persönlich vorschwebt ist allerdings oft fern jeglicher moralischer Ettikette. Es gibt Stellen da dreht es einem den Magen um. Seine vielseitigen Charaktere, angefangen von Künstlern, Chirurgen, Klonen, Missionarinnen, Gangstern und vielen mehr, sind nicht einfach nur durchschnittliche Figuren für einzigen Zweck (zumindest nicht ausserhalb der Geschichte) auf Papier gepresst, sondern erfüllen durch ihre Fehler, Fehlfunktionen und Fehlbildungen mehrere, unbequeme Ziele oder Denkanstösse die aus "Punktown" eben ein großes, wucherndes Geschwür sehr interessanter "Leidensgenossen" machen.

Bei diesen 15 einfalls- sowie einflussreichen Erzählungen würde man im Bereich Film jedenfalls glatt den Begriff "Episodenfilm" komplett in den Mund nehmen... doch ich darf doch bitten! Hier geniesst man diese kleinen aber sehr feinen Happen in seiner reinen, schmackhafter Leseform mit einer grandiosen Auswahl an denkfähigen Lebensformen, seelenverätzender Rituale und tiefschürfender Moralvorstellungen. Folgt nun also eine Geschmacksexplosion? Ich will doch mal schwer hoffen. Alle Sonnensegel sind jedenfalls gesetzt - für eine "Molekularküche" die allen Variationen von Fleischeslust, Gewalt und anderer unkonventioneller Leidenschaften eine neue, wenn auch erschreckende Form gibt. "Punktown" ist nicht nur sehr empfehlenswert für Geniesser exotischer Lebensformen und Geschichten mit Albtraumgarantie, sondern man spürt das Jeffrey Thomas hier etwas mit seiner ungezähmten Leidenschaft köchelt, das sich in jedem anderen Genre verkriechen und schmackhafte Eier legen kann. Guten Appetit!

Jeffrey Thomas (Leiden-) schafft wirklich erstaunliche Mutationen.
Eine absolute Empfehlung!

review by Hazard